Diese Rubrik heißt „Helden des Alltags“. Helden sind ja Menschen, die sich durch besonderes Handeln oder großen Einsatz auszeichnen. Wir alle haben und kennen unsere Heldinnen und Helden. Manchmal sind sie für uns unerreichbar, manchmal aber leben sie mit uns Tür an Tür. Mitunter gehören sie gar zur Familie. Wie meine Lieblingsoma, die meine ganz persönliche Alltagsheldin war.

Lieblingsoma

Im Juli 1902 im Münsterland geboren hat sie gleich zwei furchtbare Weltkriege erlebt. Sie war eine starke Frau. Sie wurde Köchin, arbeitete in den zwanziger Jahren in unterschiedlichen Hotels. Vom Rheintal bis hinauf nach Helgoland war sie dabei im Einsatz. Zu Beginn der dreißiger Jahre heiratete sie dann im Ruhrgebiet ihre große Liebe. Auch das war nicht frei von Konflikten, war mein Opa Protestant und sie Katholikin. Damals sicher keine ganz einfache Entscheidung.

Während des zweiten Weltkriegs brachte sie mit viel Liebe meine Mutter durch die harte Zeit. Obwohl sie selbst nicht viel zum Leben hatten, versteckte sie Lebensmittel am Straßenrand, wenn die Trupps mit Zwangsarbeitern auf dem Weg zur nahen Zeche waren.

Meine Oma überlebte meinen Opa um mehr als dreißig Jahre, denn er starb leider früh. Ich selbst habe ihn nicht mehr kennenlernen dürfen. Doch die Oma gab sich nicht auf. Im Gegenteil. Mit beiden Beinen fest im Leben stehend steckte sie fortan viel Liebe und Energie in uns Enkelkinder. Meine Brüder und ich haben ihr jedenfalls eine Menge zu verdanken.

Mit über siebzig Jahren brachte sie mir auf den Aschewegen unserer Schrebergartenkolonie das Radfahren bei. Lief in gebückter Haltung Stunde um Stunde hinter meinem Fahrrad her, dessen Stützräder meine deutlich älteren Brüder so hochgebogen hatten, dass sie schon lange nicht mehr den Boden berührten. Wir verbrachten viel Zeit miteinander. Am schönsten war es immer, wenn ich am Wochenende bei ihr in ihrer kleinen Dachgeschosswohnung auf der ausklappbaren Schlafcouch übernachten durfte. Wir drehten den Sendersuchknopf ihres uralten Schwarzweißfernsehers so lange im Kreis, bis wir das gewünschte der drei Programme gefunden hatten, in dem der von mir so heiß begehrte Spätfilm lief. Nicht selten, wenn die Angst nach dem Spätkrimi zu groß wurde, schlief ich danach nicht auf der Couch ein sondern bei ihr im Bett.

Heldenhaft waren auch ihre kleinen Weihnachtsüberraschungen. Sie knackte behutsamst und in rauen Mengen Walnüsse, die sie dann liebevoll entkernte, mit Geldstücken füllte, wieder verleimte und dann auf den Weihnachtstellern von uns Enkelkindern versteckte. Eine Tradition, die ich heute gern für meine eigenen Kinder weiterleben lasse.

Weiterleben ist ein schönes Stichwort. Denn die Lieblingsoma lebt in diesen und vielen Erinnerungen tatsächlich weiter und ist auch 18 Jahre nach ihrem Tod noch immer sehr präsent in meinem Alltag. Und nicht nur in meinem, sondern auch im Alltag von Menschen, die sie nie kennengelernt haben. Wie das geht?

Nun, das liegt vor allem an einer zentralen Lebensweisheit, die sie mir mit auf den Weg gegeben hat und die ich seitdem gern und oft an Dritte weitergebe. Immer, wenn ich als Kind Tage hatte, an denen ich übellaunig war und an denen es schien, dass sich alles und jeder gegen mich verschworen hatte, lächelte sie mich mit ihrem lebenserfahrenen Faltengesicht an und sagte im schönsten Ruhr-Dialekt den wunderbaren Satz:

„Junge, es gibt Tage, das tuste bei.“

Der Satz meint nichts anderes, als dass man hin und wieder im Leben mehr gibt als man bekommt, dass die Bilanz eines Tages nicht immer positiv ist. Seitdem sind für mich solche Tage „Ommatage“. Tage, an denen ich besonders oft und gern an sie denke. Ich erwische mich dabei, dann hin und wieder in den Himmel zu blinzeln und ein Lächeln nach oben zu schicken. Ein Lächeln, nach dem es mir in den meisten Fällen wieder besser geht.
Und so kommt es, dass selbst in meinem Freundes- und Bekanntenkreis viele Menschen sofort Bescheid wissen, wenn bei mir vom „Ommatag“ die Rede ist. Ich finde den Gedanken tröstlich, dass sie so in meinem und auch in den Herzen anderer Menschen weiterlebt. Vielleicht ja künftig auch in eurem.
Was sind eure schönsten Erinnerungen an die Omas und Opas? Welche Lebensweisheiten haben sie euch mit auf den Weg gegeben?