ziegevorbauwagenWas gibt es Besseres als bei diesem Herbstwetter auf der Hochebene im Offenfrontstall unserer Zickenzone zu liegen und zu meditieren? Der Regenvorhang schirmt mich als Oberziege perfekt ab und filtert zugleich das Außen. Das Geräusch der beharrlich fallenden Tropfen wird monoton. Die wiederkäuenden Bewegungen meines Kiefers verstärken diesen Eindruck noch. Schon kommen die Gedanken und gehen, ohne mich wirklich zu beschäftigen. Sie fließen durch mich durch ohne sich zu verhaken, ohne Überlegungen und kreisendes Nachdenken auszulösen, werden immer langsamer und verschwinden schließlich ganz.

Das ist schon eine Kunst, sagt die Chefin, zieht sich die Kapuze ins Gesicht und schaufelt Ziegenköttel. Die fließen auch fast ganz von allein aus mir (und allen anderen hier) heraus. Offenbar sogar für einen guten Zweck – denn die Chefin behauptet seit Jahren, sie meditiere beim Misten. Ein Besen-Strich, ein zweiter, ein dritter – rhythmische Bewegungen beim Zusammenkehren unserer wertvollen Lieferung für die Kompost-Düngung, die Humusaufbau ermöglicht und Bodenfruchtbarkeit nachhaltig sichert (aber das ist ein anderes Thema, ich stoppe dieses Abschweifen natürlich unverzüglich.) Kein Handy dabei, keine Ablenkung durch irgendwelche flirrenden Bildschirme, lange to-do-Listen, noch nicht mal durch Menschen, denn wenn Misten angesagt ist bleiben die meisten fern, um nicht zur Mithilfe eingeladen zu werden.

Dabei würde ihnen das gut tun – wenn sie es denn so meditativ angehen würden wie die Chefin. Sie kann richtige Vorträge halten zum positiven Effekt des Mistens – äh, Meditierens. Dabei beruft sie sich dann auf Neurowissenschaftler. Die messen sogar die Gehirnströme – bei uns Ziegen waren sie dafür allerdings noch nie. Im Gegenteil, sie gehen dafür in eher unfreundlich wirkende triste Räume mit ihren Versuchspersonen, die dann auf Zuruf meditieren müssen. Und weil die Wissenschaft weiß, wo Stress und Entspannung sich im Hirn zeigen, können sie nun beweisen, dass Meditieren  sogar gegen Stress, Angst und Depressionen hilft.

Was ist Stress? Ein Beispiel aus der Zickenzone: wenn die Chefin gerade meditativ versunken die Ziegenköttel zusammenfegt und Chaotin Elfrieda meint, mal übermütig in die Schubkarre springen zu müssen, das Blechteil scheppernd umfällt, die üppige Ladung auf dem Lehmboden landet …. Ihr versteht wovon ich spreche und könnt das Stresslevel der Chefin sicherlich nachempfinden. Nix mehr mit Meditation und Entspannungseffekt. Aber heute hat offenbar sogar Elfrieda den Novemberblues und bleibt liegen, während der Besen um sie herumkehrt.

Darf ich weiter aus der Meditationsforschung zitieren? Demnach reichen schon vier Tage jeweils 20-minütiges meditatives Training, um Aufmerksamkeit und Konzentration zu verbessern. Das merken die Menschen nicht nur im Alltag, sondern die Forscher sehen es sogar in den dafür zuständigen Hirnregionen. Durch regelmäßige meditative Praxis – also eindeutig nicht nur vier Tage lang – verändert sich sogar die Anatomie des menschlichen Denkorgans. Neuroplastizität heißt das und bedeutet: das Gehirn ist in ständiger Umformung, genauso wie der restliche Körper auch. Wo lässt sich dieser doppelte Effekt besser erreichen als beim Misten in der Zickenzone? Hochklettern auf den steilen Rampen – Beinmuskeln aktivieren. Liegeflächen zügig abschreiten – Lungenvolumen vergrößern. Besen bewegen – Schultergürtel lockern. Schubkarre zum Misthaufen schieben – Armmuskeln stärken. Dabei entspannt, absichts- und gedankenlos werden – neue Bahnen im Hirn anlegen. Wunderbar, ein Gesamtkunstwerk erster Güte. Und das alles nur, weil es die Zickenzone gibt.

Wie, wann und wo meditiert ihr? Vielleicht bei Kerzenschein auf dem Kissen? Bei sanfter Musik oder schönen Düften? Ich bin eine Ziege und von Natur aus interessiert an fast allem – die Chefin ist im Hauptberuf Journalistin und deshalb arbeitsmäßig legitimiert stets extrem neugierig. Also verratet uns, was euch entspannt, euer Gehirn und euren Körper formt und außerdem noch gut gegen den Novemberblues ist, denn die Stimmungslage lässt sich durch Meditieren ebenfalls verbessern – und ist eindeutig gesünder als Schokolade essen. Na dann!