Mich hat eine neue Aufgabe in diesen Blog gespült… sie macht aus mir keine Alltagsheldin, bringt mich aber immer wieder mit Menschen zusammen, die man getrost als solche bezeichnen kann. Und schon das ist ein Glück, gibt‘s doch täglich genug Nachrichten, bei denen ich mir die Decke am liebsten weit über den Kopf ziehen möchte.

Solche „Helden“ möchte ich Euch an dieser Stelle immer wieder mal vorstellen – um die Momente zu teilen, bei denen es ohne Decke über dem Kopf vielleicht ein bisschen kühler, aber auch deutlich heller ist.

Letzten Samstag konnte ich in dem kleinen hessischen (nein, nicht gallischen) Dorf Bingenheim, gleich mehrere Heldinnen und Helden kennenlernen. Ökologische ZüchterInnen! „Züchtung“? Ganz ehrlich, das weckt auch bei mir dunkle Erinnerungen an lange Nächte vor Biologie-Klausuren… und meine Versuche, noch schnell irgendwelche Mendelsche Regeln auswendig zu lernen.

Als ich das erste Mal davon hörte, dass es so etwas wie ökologische Züchtung von Gemüsesorten überhaupt gibt, dachte ich nur: „Oje, reicht es nicht, wenn ich im Bio-Laden ökologisch angebautes Gemüse kaufe? Muss es jetzt auch noch aus ökologischer Züchtung sein? Hauptsache bei der Entwicklung der Sorte kam keine Gentechnik zum Einsatz…, oder?“

Eine der ZüchterInnen die ich in Hessen traf, war Kornelia, die mich und andere Interessierte durch ihren Zuchtgarten führte. Hier hat sie rund 8 Jahre lang an der Entwicklung einer Zucchini-Sorte gearbeitet. Klingt ja erstmal mehr nach einem skurrilen Hobby, als nach einer Heldentat.

Warum macht sie das… und wozu braucht es „ökologische Züchtung“?
Kornelia baut ihre Zucchini nicht für den Verkauf an. Sie kreuzt die Zucchini-Pflanzen miteinander, deren Eigenschaften sie nützlich findet und sucht sich für weitere Kreuzungen immer wieder die besten Pflanzen heraus. So entsteht nach mehreren Jahren eine neue Sorte. Bei ihrer Arbeit hat sie dabei Öko-ErwerbsgärtnerInnen im Blick, die ihre Zucchini-Sorten später einmal anbauen. Diese haben mitunter ganz andere Wünsche an eine Sorte, als ihre konventionellen Kolleginnen und Kollegen! Da chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel im Ökolandbau verboten sind, benötigen Bio-Gärtnereien zum Beispiel Zucchini-Pflanzen, die schon von sich aus möglichst robust gegen Schädlinge sind und auch ohne viel Input über Düngung und Pflanzenschutz  „ordentlich wachsen“.

Auf dem „Saatgut-Markt“ geben heute jedoch vor allem global agierende Unternehmen den Ton an. Diese interessieren sich überwiegend für die Bedürfnisse des konventionellen Landbaus und entwickeln Zucchini-Sorten, die sich für den ökologischen Anbau nicht wirklich eignen. Zudem verwenden sie Züchtungsmethoden, die im Ökolandbau nicht erlaubt sind (Gentechnik) oder aber kritisch gesehen werden.

20150704_113026Sehen unterschiedlich aus und schmecken auch so…

Zwischen Ernteglück und Abhängigkeit
Fast alle, nicht gentechnisch-manipulierten Neuzüchtungen der Saatgutkonzerne sind zum Beispiel Hybride. Bei deren Entwicklung zwingt man die Pflanzen quasi zur Inzucht. Das Ergebnis: Sorten mit ziemlich beeindruckenden Eigenschaften. Sie bringen hohe Erträge und sehr einheitlich aussehende Früchte. Allerdings nur bei der ersten Aussaat. Sät man das aus dieser Ernte gewonnene Saatgut erneut aus, gehen die positiven Eigenschaften weitestgehend verloren. Die GärtnerInnen müssen daher jedes Jahr neues Saatgut kaufen und sind abhängig vom Angebot der Saatgut-Unternehmen.

Und diese legen gleich noch eins drauf. Wo es möglich ist, versuchen Konzerne wie Syngenta oder Monsanto Patente auf ihre Sortenentwicklungen anzumelden. Damit wird etwas verhindert, was eigentlich seit hunderten von Jahren Usus ist: Das jeder Mensch kostenlos auf vorhandene Sorten zurückgreifen kann, um diese züchterisch zu verbessern. Saatgut war bislang eine Art „gemeinschaftlicher Besitz“ unserer Gesellschaft, was sich durch Patente zunehmend ändert.

20150704_115133Zucchini in Blüte

Warum bauen trotzdem viele Bio-Betriebe Hybridsorten an?
Kornelia erzählt, dass ein großes Hindernis die etwas geringeren Erträge der Öko-Sorten sind, sich damit bislang also auch weniger Geld verdienen lässt. Und: Nicht jede Frucht gleicht der anderen, was vom Lebensmittel-Handel jedoch häufig erwartet wird. Hybride liefern in dieser Hinsicht einfach Spitzenwerte. Auch die neue Zucchini-Sorte „Serafina“, die Kornelia entwickelt hat, wird der Hybridkonkurrenz sicher nicht das Wasser reichen können. Dafür stecken in ihr Werte, die für Öko-ZüchterInnen mindestens genauso wichtig sind: Sie ist widerstandskräftig, schmeckt hervorragend und ist auch mit ihren Inhaltsstoffen ein wirkliches „LEBENSmittel“ für uns Menschen.

So, und wie kommt nun mehr Gemüse aus Öko-Züchtung auf meinen Teller?
Da haben jetzt alle etwas zu tun… Es braucht mehr Bio-Betriebe, die Öko-Sorten anbauen, aber auch den Bio-Handel der, dort wo es möglich ist, Produkte aus Öko-Sorten ins Regal stellt und die ErzeugerInnen entsprechend bezahlt. Das funktioniert natürlich nur, wenn wir VerbraucherInnen wissen wollen, was in unserem Einkaufskorb liegt – und uns die Vorteile und die Unabhängigkeit der Öko-Züchtung etwas wert sind.

Mehr Infos zur ökologischen Gemüsezüchtung von Kornelia (und ihren vielen Kollegen und Kolleginnen) gibt’s auf den Websites von Kultursaat e.V., Saat:gut e.V. und dem Saatgutfonds für ökologische Züchtung. Wer die gemeinnützig tätigen Öko-ZüchterInnen mit einer Spende unterstützen mag, findet dort auch die passenden Buttons. 🙂