Schaut mir mal ins Gesicht. Was fällt euch auf? Mein entspannter Gesichtsausdruck? Meine geradezu aristokratische Ausstrahlung? Alles richtig, danke für die feine Beobachtung. Aber am wichtigsten ist mir: ich bin oben mit. Soooo viele sind oben ohne. Ich meine jetzt nicht ohne Hirn – obwohl, fast könnte ich genau darauf anspielen. Was denken sich Menschen eigentlich dabei, die Hörner bei uns Wiederkäuern wegzuätzen, abzusäbeln, weg zu züchten?

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Manche Menschen wissen gar nicht mehr, dass Rinder und Kühe – ja, auch die weiblichen Tiere – und wir Ziegen naturgemäß mit Hörnern ausgestattet auf diese Welt kommen. Zunächst sind es kleine, weiche, knubbelige Ansätze, fühlbar auf dem Kopf schon nach wenigen Tagen. Wer einmal gesehen hat, wie sich Zicklein und Kälbchen fühlen, wenn sie schmerzhaftes Wegätzen über sich ergehen lassen mussten, wird diesen leidvollen Ausdruck nie mehr vergessen. Zumindest wenn er oder sie sich die Fähigkeit zum Mitfühlen bewahrt hat. Wer einmal den Blick dafür geschärft hat, wird Kuh- und Ziegenköpfe mit unnatürlich wirkendem Wulst statt stattlicher Hörner auf dem Kopf als verstümmelt wahrnehmen.

Also warum tun Menschen das? Weil es für sie praktischer ist, wenn sie uns in enge Ställe einpferchen, in Hetze mit uns umgehen, um Lebensmittel wie Milch zu gewinnen. Weil sie Hörner in solchen Situationen als Bedrohung erleben. Dabei sind diese wichtigen Organe für uns nicht bloße Anhängsel, überflüssig und sinnlos. Nein, wir brauchen sie um innerhalb der Herde mit feinen Signalen kommunizieren zu können. Um unsere Individual-Distanz anzuzeigen, um uns oder die beste Freundin kratzen zu können, um den Zaun hochzuheben oder auch, um bei klärenden Rangkämpfen unsere Stirnplatte vor Schlägen und Stößen zu schützen.

Aber damit nicht genug. Wir brauchen diese wunderschönen, warmen Hörner, um einen Ausgleich für die wahnsinnig intensive Arbeit in unserem Verdauungsapparat bewerkstelligen zu können. Hörner sind ein stark durchblutetes und mit dem Atemraum des Wiederkäuers verbundenes Organ. Ihre Funktion lässt sich an folgender Beobachtung gut veranschaulichen: Je trockener, heißer es ist und je rohfaserreicher und energieärmer das Futter wird, umso länger werden die Hörner. Je feuchter, kälter es ist und je energiereicher das Futter, umso kürzer sind die Hörner. Hörner sind also wichtig für Wärmehaushalt und Verdauung der Kuh oder der Ziege, die sich zudem über die Hörner mit den um sie wirkenden Kräften verbindet – und genau dadurch liefern wir Wiederkäuer so wertvollen Dung.

An meinen – und allen anderen Hörnern unserer Zicken hier – könnt ihr übrigens auch ablesen, wieviel Lämmchen ich schon auf die Welt gebracht habe. Für jedes Zicklein gibt es im Horn eine charakteristische Kerbe – toll, oder?
Besonders interessant und dazu noch ein wirklich bedenklicher Trend ist die Zucht auf genetische Hornlosigkeit. Bei Kühen wird die intensiv vorangetrieben – das Argument dafür lautet, so werde das schmerzhafte Enthornen vermieden und deshalb diene diese Selektion dem Tierwohl. Ich find das gelinde gesagt pervers. Und höre soooo gern zu, wenn die Chefin geradezu genüsslich erzählt, welche Folgen die Zucht auf genetische Hornlosigkeit bei Ziegen hat. Bei uns Ziegen ist die genetische Information für Hörner verbunden mit der Fruchtbarkeit. Wer also Ziegenböcke ohne Hörner züchtet und dann für die Vermehrung einsetzt, „erntet“ häufig Zwittrigkeit. Die Fruchtbarkeit bleibt also auf der Strecke. Wahnsinn. Ich bin überzeugt, die Natur hat sich dabei etwas gedacht, die Hörner und die Fortpflanzungsfähigkeit gemeinsam zu verankern. Meist setzt die Chefin dann in die ohnehin schon relativ entsetzt drein blickenden Gesichter noch einen drauf. Bei Rindern ist das Phänomen der Zwittrigkeit nicht so ausgeprägt. Aber auch hier scheinen Fruchtbarkeit und Behornung gekoppelt zu sein, denn die männlichen Tiere aus der Zuchtlinie mit genetischer Hornlosigkeit können durchaus mal mit so genannten Korkenzieher-Penissen ausgestattet sein. Die Schreck-geweiteten Augen vor allem unserer männlichen Besucher, die diese Geschichte anhören müssen, sind mir mal ganz im Vertrauen gesagt eine richtige Genugtuung.

Übrigens: Demeter ist der einzige ökologische Anbauverband mit obligatorischer Tierhaltung auf den Bauernhöfen. Nur ausnahmsweise darf auf eine Kooperation mit einem Demeter-Partner ausgewichen werden, der dann den tierischen Mist liefert. Tiere, vor allem die Kühe – wobei ich uns Ziegen ja viel interessanter finde -, spielen eine zentrale Rolle in der betrieblichen Individualität des Hoforganismus, der in der Biodynamischen Wirtschaftsweise von Demeter so wichtig ist. Die Kühe und natürlich auch wir Ziegen auf Demeter-Betrieben tragen die Hörner mit Stolz, das schmerzhafte Enthornen wird ganz bewusst nicht praktiziert. Danke sagen wir den Bäuerinnen und Bauern, weil sie uns unsere Würde lassen und lieber größere Ställen bauen und mehr Zeit mit uns verbringen, um unsere Sprache – Körpersprache natürlich – besser verstehen zu können.