Es ist kurz vor sechs. Anja ist schon startklar, klopft an meine Tür und drückt mir ein Paar Gummistiefel in die Hände. Vor einigen Jahren sind wir uns flüchtig an der Hochschule begegnet. Über vier Ecken habe ich jetzt gehört, dass sie gerade mit Janusz, ihrem Mann, einen eigenen Bio-Betrieb aufbaut. Fast ohne Nichts. Kaum Ersparnisse, keine Erbschaft, kein eigenes Land… irgendwo in Brandenburg. Ziemlich gewagt denke ich, wie machen sie das… läuft es heute nicht eher andersrum: Kleine Landwirtschaftsbetriebe schließen ihre Hoftore und geben auf? Anja hat mich eingeladen, sie beim Melken ihrer 20 Zweinutzungskühe zu begleiten… da hätte sie am ehesten Zeit zum Erzählen.
Draußen ist es stockdunkel, es nieselt. Wir steigen in den alten Pick-up vor der Haustür und rattern über die Pflastersteinwege des Dorfes zu Anja‘s und Janusz‘s Weiden. Die haben sie von einer Naturschutzorganisation gepachtet, die froh ist, dass die Flächen jetzt nach Bio-Richtlinien gepflegt werden. Ihre Tiere stehen mitten im Odertal, direkt hinter dem Fluss beginnt Polen. Einige der Kühe erwarten uns schon am Zaun. Anja schmeißt den von einem alten Traktor angetriebenen Generator an, die Lichter des mobilen Melkstandes leuchten auf. Dann streut sie Haferschrot in den Melkstand, das lockt die Kühe, die sich im Sommer sonst selbst um ihr Futter kümmern müssen.
Die Morgenschicht ist geschafft… zumindest für diese Damen
Anja säubert die Zitzen der Kühe mit Holzwolle und dockt nacheinander die Melkzeuge an. Die Milch fließt in eine Kanne, die wir zum Pick-up tragen und dort in einen Milchtank schütten. Während Anja ruhig und routiniert die bereits gemolkenen Kühe auf die Weide zurücktreibt, versuche ich mich, zugegeben etwas grobmotorisch, im Vormelken. Bevor das Melkzeug angeschlossen wird, werden die Kühe kurz mit der Hand gemolken, das regt den Milchfluss an und die ersten, manchmal etwas verunreinigten Milliliter Milch landen nicht in der Kanne.
Entspannt für Mensch und Tier: Anja melkt ihre Kühe direkt auf der Weide
Langsam weicht die Dunkelheit einem bläulichen Dämmerlicht und gibt den Blick frei, auf die Weite der Oderwiesen. Wildgänse ziehen am Himmel entlang. Schon sehr idyllisch hier, ich werde ein bisschen neidisch. Tut bestimmt gut, jeden Tag hier draußen zu sein. Anja nickt, holt mich aber auch gleich zurück in die Realität: „Die Sonnenaufgänge am Melkstand machen echt abhängig und sind oft eine Entlohnung für den Idealismus und die langen, anstrengenden Arbeitstage.“
Vor zwei Jahren sind sie hier her gekommen, mit dem Traum, eine Milchkuhherde aufzubauen und die Tiere wirklich artgerecht, Anja nennt es „wesensgemäß“, zu halten. Wie meint sie das, wesensgemäß? „Für mich bedeutet es, den Kühen ein Leben zu ermöglichen, dass sich an ihren Bedürfnissen orientiert“. Und, welche sind das? „Na zum Beispiel, dass die Kälber möglichst lange bei ihrer Mutter bleiben dürfen und von ihr oder wenigstens von einer Amme mit Milch versorgt werden. Aber es geht nicht nur ums tränken. Kühe sind sehr soziale Wesen, Herdentiere. Die Kälber lernen von ihrer Mutter, wie man mit Artgenossen kommuniziert und wie sie sich in der Herde verhalten. Wesensgemäß heißt auch, dass die Kühe ihre Hörner behalten und sie ausschließlich das Gras auf der Weide und im Winter Heu zu fressen bekommen. Wir wollen sie auch nicht so weit bringen, die maximal mögliche Milchleistung zu liefern, das geht ja häufig auf Kosten der Gesundheit. Und wir gehen stressarm mit den Tieren um, haben jedes Tier individuell im Blick. Bei 28 Kühen, 2 Bullen und derzeit 8 Kälbern ist das zum Glück machbar.”
Auch für Bio-Verhältnisse ziemlich viel Handarbeit… dafür gibt’s Milch und bald auch Käse aus besonders artgerechter Haltung und handwerklicher Herstellung
Während sich Anja zwischen zwei Kühe quetscht um das Melkzeug anschließen zu können, frage ich mich, wie die beiden das geschafft haben, mit diesen hohen Ansprüchen und mit nichts in der Hand hier loszulegen. „Die Kühe sind erst seit einem dreiviertel Jahr bei uns. Wir hatten die Idee, Kuh-Aktien auszugeben und haben all unseren Bekannten von diesem Plan erzählt. Wir konnten es ja selbst kaum glauben, aber schon ein paar Wochen später lag fast täglich eine Kuh im Briefkasten.“
Jeder der damals einen Kuh-Anteil zeichnete, finanzierte den beiden 1/3 Kuh. Und, was würde ich als Kuh-Aktionärin heute bekommen? „Wir verzinsen den Kuh-Anteil mit 2,5 Prozent im Jahr. Am Ende des Jahres gibt es dafür einen Gutschein. Wer will, bekommt die Dividende ausbezahlt oder kann sie gegen Hofprodukte wie Milch oder Salami einlösen“, erklärt Anja. „Damit helfen uns die Menschen den Betrieb hier langsam aufzubauen, ohne uns völlig zu verschulden.“
Schon ein bisschen einfacher als Vormelken: Milchbottich schrubben
Nach dem wir die Melkzeuge und den Milchtank geschrubbt haben, sitzen wir in Anjas Küche. Fliegender Wechsel bei ihr und Janusz, der sich bis eben um ihren gemeinsamen Sohn Johann gekümmert hat und jetzt zum Stall und der zukünftigen Käserei fährt. Beides befindet sich gerade im (Wieder-)Aufbau, die meisten Bauarbeiten machen sie selber. Während Anja einen ersten Frühstücks-Versuch startet, will Johann seine Mama hartnäckig davon überzeugen, dass er das Glas Marmelade ruhig komplett auslöffeln darf. Trotzdem schafft sie es noch zwischendurch auf meine Frage zu antworten. „Überfordert dich das nicht manchmal, dieser Versuch, Betriebsgründung und Familie unter einen Hut zu bringen?“ „Ja, manchmal ist‘s schon ganz schön viel auf einmal. Andererseits, Landwirtschaft passt einfach zu mir und ich liebe es, selbständig arbeiten zu könne, ohne dass mir jemand sagt, was ich zu tun habe. Außerdem können wir in unserem eigenem Betrieb viel von dem umsetzen, was uns im Umgang mit den Tieren und ihrer Haltung wichtig ist.“
Mist, ich glaube ich bin schuld, dass Johann das Marmeladenglas jetzt doch halb leergefuttert hat. Zeit zu gehen. Eine letzte Frage. „Wenn du als Jungbäuerin einen direkten Draht zu Lautsprechern im Biomarkt hättest, was würdet du sagen?“ Anja überlegt nur kurz. „Kommt raus auf die Höfe, lernt die Menschen hinter eurem Essen kennen! Ich fände es super, wenn sich mehr Menschen anschauen, wo ihre Lebensmittel herkommen und wer sie wie produziert. Wer Landwirtschaft selbst gesehen und erfahren hat, versteht sofort, dass gute Qualität und artgerechte Tierhaltung nicht zu Discounter-Preisen zu machen ist!“.
Mehr über Anja, Janusz und ihre Kühe findet ihr auf StolzeKuh.de
7 Kommentare
16. November 2015 von Marinus
Gibts denn einen Onlineshop in dem man die Salami oder den Käse der Jungbauern bestellen kann ? Wäre schön :) . MfG Marinus
17. November 2015 von Anja
Danke für dein Interesse Marinus! So weit sind wir noch nicht. Es ist noch einiges an Aufbau- und Ausbauarbeit zu leisten bis wir Käse verschicken können. Die Salami kann ich dir aber zukommen lassen. Schreib uns doch eine Mail mit deinen Kontaktdaten. Viele Grüße, die Jungbäuerin
17. November 2015 von Marinus
Hallo Anja, freut mich zu hören, dass ihr zumindest die Salami schicken könnt :) . Meine Emailadresse wäre : magmaglasdesign@gmx.de . Schreib mir doch einfach eine kurze Mail, damit ich dir meine Versandadresse geben kann und wir die Zahlungsmodalitäten klären können. MfG Marinus
19. November 2015 von Barbara
Hut ab, ich habe auch nicht gewußt, dass es so aufwendig ist, Kühe "wesensgemäß" zu halten. Und wie hängt die Salami mit den Milchkühen zusammen??
20. November 2015 von Anja
Wir mussten die Kasja schlachten, weil ihre Zitzenform weder von Kälbern noch von der Melkmaschine melkbar war und sie deshalb eine nicht heilende Verletzung am Euter hatte. Heute wurde die zweite Kuh geschlachtet, die Otti. Sehr schade, weil sie so eine Charakterkuh war. Aber sie hatte eine Weidemastitis, sehr selten, nicht heilbar... ursprünglich entstanden durch einen Hornstoß ins Euter noch vor der Geburt ihres Kalbes. So etwas gibts halt auch. Deshalb gibt es Braten, Rouladen, Salami und Bratwürstchen mit Gesicht zu Weihnachten!
20. November 2015 von Chiara Oriana
im selbst vergebenen Begriff "Zweinutzungsrasse" steckt die Wahrheit, diese Lebewesen werden benutzt und getötet - und das ohne jede Notwendigkeit, nur zur Befriedigung eigener Bedürfnisse; es macht mich einfach nur unfassbar traurig wie immer noch die Ausbeutung von fühlenden Lebewesen versucht wird schön zu färben;
2. December 2015 von Malchus
Ein echt schöner Artikel! :) Einen Hof oder Betrieb zu gründen, ist wirklich eine mutige Sache und ich freue mich über jeden, der dann auch noch so wesensgemäß arbeitet, auch wenn ich mir die Arbeit gar nicht vorstellen mag... denn dieses Beispiel ist ja, wie erwähnt, selbst für Biologische Landwirtschaft arbeitsintensiv! Auch für mich ist es ein Ziel, dass die Menschen wissen, wer ihre Lebensmittel produziert und wie diese hergestellt werden. In meinem Projekt "Yes! We Can Farm" stelle ich verschiedene landwirtschaftliche Betriebe vor, die nachhaltig arbeiten. Auf www.yes-we-can.farm kann das erste Porträt gelesen werden :)