Wer hat sich schon mal Gedanken darüber gemacht, was es für uns – die ebenso sensiblen wie eigensinnigen Zicken – eigentlich bedeutet, gemolken zu werden? Ja ich weiß, die Vegan-Fraktion ruft „Melken nein danke“ – das meine ich jetzt aber nicht. Ich schenke meine Milch durchaus gern her, wenn die Voraussetzungen stimmen. Als da wären:
- Vorrang für meinen Nachwuchs. Solange die Zicklein meine wunderbare Milch benötigen sollen sie sich an meiner Milchbar bedienen können. In unserer ursprünglichsten Entwicklung war dieser Zeitraum auch limitiert (durch die Lust der Kleinen an dem was draußen wächst und den Wiederkäuer-Stoffwechsel aktiviert, durch das nicht immer üppige Nahrungsangebot für die Ziegenmütter und durch hormonelle Zyklen).
- Gute Versorgung mit wesensgemäßen Futtermitteln (also kein Kraftfutter-Doping für Rekordmilchlieferungen).
- Vertrauensvolle Beziehung zum Melker bzw. zur Melkerin.
Wie schön, dass alle drei Aspekte bei uns in der Zickenzone bestens berücksichtigt werden. Nach dem Ablammen – so heißt das nun mal – bekommen die Zicklein die ersten drei bis vier Wochen die gesamte Milch aus meinem Euter. Dann fängt die Chefin an, morgens und abends die Rest-Milch aus dem Euter zu melken, die übrig ist. Das nennt sie eine klassische win-win-Situation – klingt für mich irgendwie chinesisch, bedeutet jedoch einerseits, dass die zarten Finger, Hände, Muskeln, Sehnen und Gelenke der Chefin ein Trainingsprogramm absolvieren und fit werden für die durchaus anstrengende Melkerei (hier wird halt noch per Hand gemolken). Und andererseits bei uns Ziegenmüttern die Stimulation für die Milchlieferung erhalten bleibt, auch wenn die rasant wachsenden Jungtiere gar nicht mehr so viel Milch nachfragen. Also wirklich ein ganz klassisch marktwirtschaftliches Prinzip (aber das ist wieder ein anderes Thema). Zwei weitere Wochen später werden die Nachwuchs-Jungs und –Mädchen im Kindergarten separiert und alle Milch landet im Eimer. Soviel zu Punkt eins.
Und zu Punkt zwei: Wir können Tag und Nacht frei entscheiden, ob wir auf die angrenzende Wiese gehen – und den Zaun in Richtung Wald immer mal wieder überwinden, um die besonders leckeren Blätter und die soooo gesunde Rinde zu naschen – oder im großen Offenstall an der Raufe das gut duftenden Heu knurpzeln. Im Melkstand gibt es dann eine Handvoll Getreideschrot von einem befreundeten Demeter-Hof und Mineralfutter, dazu Möhren, Äpfel und all das was in einem vegetarischen Haushalt so an Gemüseresten anfällt (ihr erinnert euch an die Vorliebe der Chefin für die Pastinake Aromata?).
Über drittens könnte ich ein dickes Buch schreiben … ein bisschen dazu erfahrt ihr ja ohnehin immer hier im bioblog. Und heute nähern wir uns dabei sogar der Intimsphäre. Über Grapschereien will ich mich hier nicht dezidiert äußern, da kursiert derzeit gerade ohnehin genug in den Medien. Aber so viel kann ich euch verraten: es braucht schon eine stabile, vertrauensvolle Bindung, um sich gelassen ans Euter fassen zu lassen. Wer es nicht glaubt darf es gern mal versuchen – und mit Hörnern Bekanntschaft machen, die zu uns biodynamischen Ziegen dazu gehören wie ihr wisst, und die wirklich nur in einem solchen Ernstfall zur Verteidigung eingesetzt werden.
Also fängt die Chefin schon bei den Allerkleinsten an. Meistens wollen wir sie ja bei den Geburten dabei haben, dann lernt unser Nachwuchs Menschen gleich beim ersten Wimpernschlag als freundliche, fürsorgliche, aufmerksame, wohlwollende Wesen kennen. Manches kecke Zicklein übertreibt dann nach ein paar Tagen auch schon mal und springt der Chefin einfach auf den Rücken, wenn sie sich beim Misten mal bücken muss – einfach köstlich. Jedenfalls sind wir alle handzahm und lassen uns selbst von Besuchern bereitwillig am Hals oder Rücken streicheln. Nur die Chefin darf uns die Beine hochheben um die Klauen zu schneiden, darf uns unter den Bauch fassen um Kletten raus zu zuppeln und eben auch ans Gesäuge.
Allerdings habe ich schon miterlebt, dass Erstgebärende sich trotzdem im Melkstand wild aufführen, obwohl sie da schon mit ihren Müttern reinmarschiert sind als sie klein waren. Da braucht es dann mal eine klare Ansage der Chefin. Der Anbindestrick wird dann deutlich kürzer geschnallt, die Chefin setzt sich auf den Melktisch und nicht auf den Melkschemel und begrenzt mit ihrem Körper die widerspenstige Ziege. Behutsam und beharrlich massiert sie das Euter, ohne schon die oft winzigen Zitzen – Striche heißt das bei uns – zu berühren. Das wird ein paar Tage lang geübt, versüßt durch Leckereien in der Futterkrippe gleich vor dem Melktisch. Bisher hat sich jede unserer Ziegen hier daran gewöhnt und dann auch akzeptiert, dass die Zitzen mit rhythmischen Bewegungen gezogen werden, damit die Milch fließt und der Strahl in den Edelstahleimer spritzt. Allerdings hat die Chefin dabei manchmal ganz schön geschwitzt – das nimmt sie in Kauf.
Und wenn eine allzu widerspenstig bleibt, erzählt sie gern zwei Geschichten. Die eine erleben wir Ziegen hautnah nach jeder Geburt. Die Zicklein stoßen beim Trinken mit ihren Köpfen gegen unsere Euterhälften, um den Milchfluss zu aktivieren. Je älter sie werden und je größer die Hörner sind kann das durchaus mal ganz schön unangenehm sein – kein Vergleich zu den zarten Annäherungen der Chefin. Die andere haben wir hier noch nie erlebt, aber entfernte Ziegen-Verwandte von einem anderen Hof. Da musste die Melkerin in der Urlaubszeit vertreten werden – es kam ein Mann. Nicht der Größenunterschied der Finger war das Problem – sondern seine Bierfahne. Denn vor dem abendlichen Melken nach anstrengender Feldarbeit gönnte sich der Melk-Vertreter gern ein kühles Pils….. unsere Kolleginnen machten ihm klar, was sie davon halten – nämlich gar nichts. Allerdings hat er ein bisschen gebraucht um rauszufinden was die unfreundliche Melkbegegnung verursacht. Aber weil die Zicken morgens immer total kooperativ und freundlich waren dämmerte ihm die Bier-Ursache relativ schnell. Also hat er das Feierabend-Bier auf die Zeit nach dem abendlichen Melken verlegt – und damit schließe auch ich das Kapitel Bier in der Zickenzone ab, denn bei den anderen Bloggern begegnet es euch in deutlich interessanteren Variationen. Prost!
7 Kommentare
22. März 2016 von Axel
... und wenn sie nicht gestorben sind (geschlachtet wurden), dann leben die männlichen Zicklein noch heute? Natürlich nicht. Die - ach so sensible Chefin - vergisst zu erwähnen, dass die männlichen Zicklein wenige Wochen nach der Geburt ganz sensibel den Hals durchgeschnitten bekommen. Toll! Die Ziegen-Mamas sterben natürlich auch nicht eines natürlichen Todes. Die im Text erwähnte "klassische win-win-Situation" endet für die Ziegen-Mamas mit durchgeschnittener Kehle. Traumhaft! So sensibel, die Chefin! Bei der möchte ich auch Ziegen-Mama sein. Was könnte ich schon dagegen haben, dass mir und meinem Nachwuchs der Hals durchgeschnitten wird? Die Veganer sind alle doooooooof! Oder?
23. März 2016 von Manuela Schuester
Danke für den interessanen Einblick in Ihre Arbeit. "Gern schenken" kombiniert mit dem "kurzem Anbindestrick und klarer Ansage der Chefin" - das scheint mir eher wie "bist Du nicht (frei)willig, so brauch ich Gewalt" statt eines dargebotenen Geschenkes. Da Sie sie anfangs erwähnen; Veganern wird gerne eine "Romantisierung" und "Vermenschlichung" der Tierwelt vorgeworfen, trifft das nicht eher auf Ihren Text zu? Ich erinnere mich an den Film "More than honey" in welchem Markus Imhoof sagt: "ich realisierte, dass die Bienen uns den Honig nicht schenken - wir stehlen ihn." Diese Selbsteinsicht und Ehrlichkeit wünsche ich mir auch von Bioproduzenten den Konsumenten gegenüber, ganz ohne Romantisierung der eigenen Arbeit. Herzliche Grüsse aus der Schweiz
23. März 2016 von Jill
Unglaublich. Die Milch der Ziege ist für die Ziegenkinder gedacht. Punkt. Weshalb sollte eine Ziege sie gerne hergeben!? Ich wollte meine Muttermilch ja auch nur meinem Sohn geben.
29. März 2016 von Renée
Erstaunlich, welche Reaktionen ein solcher Blog-Beitrag hervorrufen kann. Vielleicht für all die Kommentierenden hier interessant, ein bisschen mehr zum Hintergrund zu erfahren? Alles was ich hier schreibe ist authentisch und natürlich ganz persönlich. Für mich als Vegetarierin (seit 1986), die seit ihrer Kindheit mit Tieren lebt und versucht sie immer besser zu verstehen, war Emely (meine erste Ziege) eine wundervolle Lehrmeisterin. Emely hat 13 Jahre auf unserem biodynamischen Nebenerwerbs-Hof gelebt. Sie ist in meinen Armen eines natürlichen Todes gestorben und auch für das Altern und das Verabschieden von dieser Welt habe ich von ihr viel lernen können (dazu sicherlich bald auch mal was im bio-blog). Sie hat wie ihre „Kolleginnen“ dem Bock eindeutig signalisiert, wann sie bereit ist zum Decken (von wegen gegen ihren Willen geschwängert, von wegen geiler Bock - die einzigen Tiere die vergewaltigen, sind meines Wissens nach Enten) sie hat wie allen anderen Ziegen bei uns in der Herde ihre Zicklein säugen dürfen – und ja, sie hat Milch über diese natürliche Säugezeit hinaus gegeben (immer ohne blutige Zitzen) und die habe ich aus ihrem Euter „geraubt“ und zu leckerem Käse verarbeitet, verkauft, genossen. Dafür haben meine Ziegen immer meine Fürsorge, bestes Futter, einen guten Stall, viel Auslauf und den engen Kontakt zum Menschen bekommen. Und ja, nachdem ich nicht mehr alle Böckchen eines Jahrgangs an gute Züchter dieser vom Aussterben bedrohten Ziegenrasse weiter geben konnte musste ich mich dem Thema schlachten stellen und eine Haltung dazu finden. Auch dazu gern demnächst mehr im bio-blog. Ich habe meine Haltung dazu entwickelt, nachdem ich mich informiert habe, nachdem ich eigene Beobachtungen gemacht habe, nachdem ich Wild-Leben der Tiere mit dem Leben der domestizierten Tiere verglichen und abgewogen habe. Ich respektiere jede andere Haltung zu diesen komplexen Themen – und wünsche mir diesen Respekt und die Bereitschaft, genau hinzugucken, auch von anderen Menschen. Ich weiß – nicht alle Wünsche gehen in Erfüllung, weder für Emely noch für mich noch für euch alle hier In diesem Sinne gern weiter anregende und weniger aufgeregte Diskussionen in der Zickenzone
3. April 2016 von Axel
Die Autorin ist sehr "sensibel" sobald Kritik an der selbstbeweihräuchernden Rechtfertigung ihrer todbringenden Tiernutzung geäußert wird. Bei dem Bullshit-Bingo des Greenwashing wird das große Kino aufgefahren: "authentisch und natürlich ganz persönlich", "Vegetarierin", "biodynamischen Nebenerwerbs-Hof", "in meinen Armen eines natürlichen Todes", ... Dieses Greenwashing soll in der kruden Logik der Autorin anscheinend rechtfertigen, dass das eigennützige Handeln ("verarbeitet, verkauft, genossen") dieser Vegetarierin direkt zum Schlachtermesser führt. Wie immer, führt Tiernutzung zum Tod der benutzten Tiere. Wie immer finden die Tiernutzer, in diesem Fall die Autorin, für sich selbst eine Rechtfertigung. Bemerkenswert an der Autorin ist lediglich, dass sie für ihre Art der Tiernutzung auch noch gelobt werden möchte. Was für eine absurde Erwartungshaltung. Ob Emely sich wohl gewünscht hätte, dass den Kindern Ihrer Nachfolgerinnen die Kehle durchgeschnitten wird? Wohl kaum. Da hat die Schülerin wohl nicht so richtig aufgepasst. Was wird eigentlich aus den weiblichen Nachfolgerinnen von Emely; was wird aus den weiblichen Ziegen sobald diese älter werden und die Milchleistung nachlässt? Dürfen die alle, wie Emely, eines natürlichen Todes in den Armen der Autorin sterben? Oder wird denen auch der Hals durchgeschnitten, wie ihren männlichen Babys? Sensibel, natürlich.
28. Dezember 2017 von Tily
Was passiert mit den männlichen Zicklein im "Kindergarten"?
29. Dezember 2017 von Renée
Bei uns wachsen die Zicklein zunächst gemeinsam in der Herde auf - und mit etwa vier Monaten wandert der männliche Nachwuchs mit dem erwachsenen Bock auf die Jungs-Weide. Zum Teil werden sie dann mit etwa sechs Monaten für die weitere Zucht der vom aussterben bedrohten Rasse Thüringer Waldziegen an andere Züchter*innen verkauft, zum Teil vor Ort geschlachtet - siehe oben.