Was wollen Kinder und was tut ihnen gut? Dazwischen liegen manchmal Welten. Aber so schwierig kann es doch nicht sein, ohne viel Verbote einen gesunden Mittelweg zu finden. Oder doch?

„Darf ich heute ausnahmsweise fünf Süßigkeiten?“ Mal abgesehen davon, dass mein Sohn immer das Verb vergisst; irgendwie ist unser System noch nicht so ganz ausgereift: Weil beide Kinder – natürlich – gern Süßes essen, bin ich dazu übergegangen, ihnen drei Süßigkeiten pro Tag zu erlauben. Eigentlich funktioniert das ganz gut – bis mein sechsjähriger Sohn anfängt, zu verhandeln; wenn er heute fünf Süßigkeiten essen dürfe, dann würde er morgen nur eine nehmen. Ärgerlicherweise hat er das aber anderntags wieder vergessen. Wie immer also in der Kindererziehung, mal funktioniert es besser, mal schlechter. Wir arbeiten daran. Aber wieso fixieren die Kinder sich auf mit künstlichen Zusatzstoffen angereicherten Süßkram, der dann auch noch möglichst viel Verpackungsmüll produziert? Liegt es an der Werbung? Am Beispiel anderer Kinder? Und geht es nicht auch anders?

Na, sicher geht es anders – ich könnte den Kram auch einfach gar nicht kaufen und mir dann anhören, wieviel besser es alle anderen Kinder haben. Außerdem sind wir ja immer besonders wild auf die Dinge, die wir nicht bekommen. Bei solchen Fragen muss ich immer an eine Bekannte denken, die mir erzählt hat, dass der Sohn von Freunden zum Militär ging; ihm war das Elternhaus zu pazifistisch.

Womöglich tut es auch ein Mittelweg und ein bisschen gesunder Menschenverstand? Tipps wie „Stellen Sie Ihrem Kind einen Obst- und Gemüseteller hin statt Süßigkeiten“ finde ich jedenfalls nicht so wahnsinnig hilfreich, denn das Problem besteht ja nicht darin, dass ich noch lernen muss, was gesund ist. Einleuchtender scheint mir dann schon der Rat, den Kindern nicht zu sagen, sie sollen erst ihr Gemüse aufessen, bevor es eine Süßigkeit gibt, weil dann der Stellenwert des Süßen steigt. Die Frage ist, wie bringe ich meinen Kindern Gesundes nahe, ohne ein Riesenthema daraus zu machen? Und ich fürchte, die Antwort ist mit Arbeit verbunden: Am gesündesten ist und bleibt nun mal frisches, selbstgemachtes Essen, auch wenn mir das als berufstätige Alleinerziehende nicht immer gefällt. Wobei es durchaus auch Spaß machen kann, mit den Kindern und für die Kinder Naschereien selbst herzustellen. „Beim Backen verwenden wir schließlich keine Zusatzstoffe“, sagt mir eine Fachverkäuferin im Reformhaus mit Blick auf industriell hergestellte „Kinderlebensmittel“ und hat damit natürlich recht. Sie hat gerade einen Thementag „gesundes Frühstück“ begleitet und spricht sich für selbstgemachte Müsliriegel sowie warme Frühstücksbreie aus – warmes Frühstück wird beispielsweise auch in der traditionellen chinesischen Medizin empfohlen und hat den Vorteil, dass es auch gesüßt noch gesund ist.

Kombiprodukte, zum Beispiel Reiswaffeln mit Schokolade oder Joghurt mit Stückchen seien überhaupt eine gute Idee, findet Christina Zurek von der Organisation „bio für Kinder“ in Hamburg; so stillen die Kinder ihr Bedürfnis nach Süßem in kleinen Portionen, nehmen gleichzeitig aber auch Nährstoffreiches zu sich. Das Projekt berät Kitas und Schulen in Sachen gesunde Ernährung und Christina Zurek hat gemeinsam mit Kollegin Iris Lange-Fricke die Erfahrung gemacht, dass die Leiterinnen in den Kindertagesstätten hier sehr unterschiedlich agieren. Wichtig findet sie vor allem, einmal die Konditionierung zu durchbrechen, dass Süßes einfach dazugehört. In einer der betreuten Kitas besteht das Ritual für Geburtstagskinder nicht darin, gemeinsam Kuchen zu essen. Stattdessen wird eine Kugel herumgereicht und jedes Kind mit der Kugel in der Hand darf einen guten Wunsch aussprechen. „Auf diese Art können wir die Kinder bei dem Thema begleiten und schützen“, sagt die Fachfrau. Auch bei ihren eigenen Kindern legt sie Wert auf Rituale im Alltag, wie zum Beispiel einen süßen Nachmittagssnack, aber Früchte dazu und befürwortet die Einteilung eines süßen Vorrats für ältere Kinder – aber nicht starren Ernährungsregeln folgend, sondern immer dem Kind angepasst; manchen Kindern fällt es leicht, sich den Vorrat für eine Woche einzuteilen, andere brauchen vielleicht kürzere Zeitabstände.

Warum bio?
Eltern, die Biolebensmittel kaufen, können nicht unbedingt davon ausgehen, dass die Süßigkeiten hier per se gesünder sind, auch in einem Biofruchtriegel kann viel Zucker stecken. Aber zum Einen verstecken sich in Biolebensmitteln wesentlich weniger Zusatzstoffe (wenn ich vergleiche, sehe ich beim Bioprodukt Inhaltsstoffe wie Kakaobutter und Rohrohrzucker, bei konventionellen Süßwaren lese ich von Magermilchpulver, Volleipulver und diversen Backtriebmitteln), zum Anderen verhalten sich auch die Hersteller in der Regel bewusster. Sie bombardieren die Zielgruppe nicht mit Werbung, bieten kleinere Portionen an und legen Wert auf umweltverträgliche Herstellung und / oder fairen Handel – eine gute Basis, um auch mit Kindern zu diesen Standards ins Gespräch zu kommen. „Vielleicht sollten wir mal weg von diesem Prinzip des „ganz oder gar nicht“, sagt Christina Zurek. Bei den Verantwortlichen in der Kita oder auch bei den Eltern herrsche oft die Idee, man müsse wenn schon, denn schon aber auch gleich konsequent die gesamte Ernährung umstellen, dabei seien kleine Schritte schon sehr hilfreich. Das finde ich sehr sympathisch, ein bisschen Pragmatismus schadet ja nie. Und so kann ich unabhängig von irgendwelchen Ernährungsempfehlungen weiterhin an unseren eigenen Familientraditionen basteln – mal mehr, mal weniger erfolgreich.

Welche Regeln und Rituale gelten bei Euch zuhause?