Ich hatte euch ja schon mal von den Suchspielen der Chefin mit ihren drei Hütehunden erzählt. Wenige feine, menschliche Körpersignale verleiten die Abkömmlinge von Wölfen zu einem impulsiv eingesprungenen „Platz“ oder zu einem furiosen Spurt in Richtung versteckter Käsewürfel. Absolut lächerlich finde ich das. Aber wenn ich den drei Hunden (und der Chefin) ins Gesicht schaue, entdecke ich da durchaus ein breites Grinsen. Erklären diese Beobachtungen schon ein wenig den menschengemachten Unterschied zwischen uns sogenannten Nutztieren und den Haustieren wie Hund, Katze, Meersau? Der beschäftigt mich seit ein paar Tagen intensiv – ihr ahnt es, ich habe mal wieder ein Gespräch mit einer Hofbesucher-Gruppe belauscht. Da waren einige besonders lautstark. Sie sprachen immer wieder vom „Bruder Tier“.
Hütehunde in Erwartungsspannung

Offenbar glauben manche Menschen inzwischen, das Tier sei ein Wesen wie sie. Kaufen sie ihren Hunden deshalb Regenjacken, Halsbänder mit Smaragden und eigene Schlafsofas? Oder ihren Katzen Spielzeug, das als Mäusefang-Alternative herhalten muss? Platzen die Futtermittelmärkte deshalb aus allen Nähten und geben manche Zweibeiner mehr Geld für die „beste“ Ernährung ihrer Haustiere aus als für das eigene Essen? Auf jeden Fall schauen manche von ihnen überaus kritisch auf Demeter-Höfe, die sie in ihrer Region besuchen – dort, wo Ställe offen stehen und das liebe Vieh auf die Weide darf. In die industriell geprägten Schweine-, Geflügel- oder Rinderställe kommen sie ja auch nicht rein. Die sind hermetisch abgeriegelt und werden von Tierschützern bei nächtlichen Einbrüchen „besucht“, um Horror-Filme unerträglicher Tierhaltung ins Internet stellen zu können.
Worüber regen sich unsere Besucher hier in der Zickenzone am meisten auf? Ganz klar: über die Tatsache, dass Tiere auf den Öko-Höfen Nutztiere sind – nur eine begrenzte Lebenszeit haben, beim Metzger und auf dem Esstisch enden. Menschen fühlen sich Tieren heute offenbar anders verbunden als früher. Sie empfinden das Leid der Tiere stärker, meint die Chefin. Und obwohl sie das eigentlich gut findet, stöhnt sie, weil dabei das Pendel weit ausschlägt, wie sie das nennt. Auf der einen Seite wird das Tier geradezu vermenschlicht, auf der anderen zum Produktionsmittel degradiert. Aber gerade wir Demeter-Bauernhöfe haben einen hohen Anspruch an Tierhaltung. Wir sind ja sogar innerhalb der Öko-Bewegung eine Besonderheit: Damit ein Organ des Hofes das andere unterstützt, halten Demeter-Bauern in der Regel stets Tiere, meist Rinder – oder eben kleine Wiederkäuer wie uns Ziegen. Dabei spüren viele Menschen dann: Tiere verleihen dem Hof Seele. Uns hier berichten Besucher, die schon einige Demeter-Höfe kennen gelernt haben, von einer bestimmten Stimmung, einer warmen Ausstrahlung, die sie wahrnehmen.

Also geht das Thema weit über den durch die Tierhaltung gewonnenen Mist hinaus, der mit den Biodynamischen Präparaten in wertvollen Dünger verwandelt wird und für Humusaufbau sorgt. „Rudolf Steiner, der neben Demeter auch Waldorfpädagogik und anthroposophische Medizin initiiert hat, sah Mensch und Tier in gemeinsamer Evolution verbunden“, höre ich die Chefin den Besuchergruppen immer wieder mal erzählen. Sie erklärt dann: „Vor Jahrtausenden sind Menschen und Wildtiere in eine Beziehung getreten.“ Und sie zitiert dann aus einem – wie sie sagt – wunderschönen Buch: „Der Kleine Prinz“. Da wird wohl ganz poetisch beschrieben, wie das funktioniert hat. „Zähme mich!“ sagt da der Fuchs zum kleinen Prinzen. Demnach hat sich der Mensch dem Tier und das Tier dem Menschen so zugewandt, dass eine Partnerschaft entstehen konnte. Also hättet ihr Menschen physisch gar nicht Fuß fassen können ohne uns Haustiere/Nutztiere. Erst durch das Nutztier Kuh und nicht zu vergessen durch uns Ziegen konnte der Mensch wirklich sesshaft werden. „Also sind fruchtbarer Boden, wogende Getreidefelder, saftiges Grünland, unser Hornmist-Präparat, vitale Pflanzen, nahrhafte Milch und der Sonntagsbraten wie in einem Nukleus zusammengefasst.“ Wenn die Chefin diesen Satz losgeworden ist, werden die Besucher meistens erst mal ganz still. Einer hat dann mal gesagt, das höre sich an wie eine Art kultureller Tauschhandel: Tiere liefern uns die Grundlage für ein breites Spektrum an Lebensmitteln. Menschen bieten ihnen wesensgemäße Lebensbedingungen, artgemäßes Futter, Aufmerksamkeit, Schutz und Respekt.

Die Herde gibt Sicherheit Das war mein Stichwort – richtig zart gebe ich der Chefin einen sanften Stubs und schon fällt ihr ein, was sie dazu unbedingt noch erzählen muss. Vor einigen Jahren war mal ein ausgebüxter Hund auf die Weide der Jungböcke geraten. Die Urangst vor dem Wolf sitzt bei uns so tief, dass der Nachwuchs Panik bekam, den Zaun niedertrampelte und flüchtete. Das war ein Schock, als die Chefin auf die Weide kam und kein keckes Meckern auf ihr Rufen ertönte. Die acht Jungböcke sind dann wirklich tagelang durch die Gegend geirrt – und immer, wenn ein Anruf kam mit der Info, wo sie gesichtet wurden, durfte ich ins Auto steigen und mit der Chefin suchen fahren. Als wir die Böckchen dann endlich im grünen unter einer Autobahnbrücke antrafen, hättet ihr mal deren Gesichter sehen sollen. Geradezu erleichtert schnauften sie durch, trotteten hinter uns her und fielen im sicheren Stall erst mal in Tiefschlaf. Sie waren wirklich völlig fertig vom ungewohnten Leben in der Wildnis, mit natürlichen Feinden wie fremden Menschen und fremden Hunden, ohne tägliche Futterlieferung und trockene Schlafplätze unter einem sicheren Dach. Wären die Haustier-Hunde doch nur auf ihrem Schlafsofa geblieben – oder von ihren Menschen besser erzogen worden.
Uff, das war ja jetzt wirklich ein langer und tiefschürfender Einblick in die Nutztierwelt hier in der Zickenzone.