Um diese Jahreszeit kommt die Chefin immer besonders früh und besonders flott in unseren Offenstall. Kein Wunder, denn im kuscheligen Stroh wird aus manchem ruhigen Plätzchen gerade ein „Kreißsaal“. Kugelrund sind viele Bäuche, prall schon etliche Euter. Die Lammzeit steht bevor. Für die Chefin beginnt damit – so behauptet sie – die schönste Zeit des Jahres. Weil wir so einen direkten Draht zu ihr haben, bevorzugen viele meiner Zickenfreundinnen die Geburts-Begleitung durch unsere Chefin. Nur wer darauf keinen Wert legt, bekommt den Nachwuchs während die Chefin schläft. Wenn die Wehen beginnen (wie sagte der Tierarzt bei der ersten Ziegengeburt, die unsere Chefin begleiten durfte und wo sie noch unsicher den Veterinär dazu rief, so treffend: das heißt Wehen, weil es weh tut) suchen wir Ziegenmütter in spe uns ein Plätzchen etwas abseits von den anderen. Meist legen wir uns da so bequem wie möglich hin. Wenn eine Wehe kommt, müssen wir manchmal vor Schmerz die Oberlippe leicht heben, lautes Jammern ist eher selten. Wer Unterstützung durch die Chefin möchte, genießt ihre Rückenmassage, die den Lämmern (meistens sind es bei uns ja zwei) den Impuls gibt, noch tiefer in den Geburtskanal zu wandern. Wenn bereits die kleinen Hufe samt Fruchtblase zwischen den Schamlippen zu sehen sind, kann die Chefin mit ihren recht kleinen Händen durchaus mal mit anpacken und sanfte Zughilfe leisten. Ist erst einmal der Kopf durch, folgt der Rest meistens ohne weitere Verzögerung. Nur wenn ein Böckchen bereits breite Schultern hat, kann es da nochmal klemmen. Unsere Herde ist offenbar besonders vital und gesund. Noch keine einzige Totgeburt, noch kein Kaiserschnitt in den zehn Jahren!

Wir Zickenmütter sind in den allermeisten Fällen sofort bereit, das Frischgeborene abzuschlecken. Das reinigt nicht nur die Atemwege von Fruchtwasser und Fruchthülle, sondern kurbelt auch den Kreislauf der Lämmer an. Erste zarte Laute zwischen der Mutter und den Kleinen sorgen für die stimmliche Prägung – ganz wichtig, damit im wachsenden Lämmer-Kindergarten immer die richtigen wieder zusammenfinden. Die Chefin staunt jedes Mal aufs Neue, wie fix unsere Zicklein beginnen, sich auf den vier staksigen Beinen aufzurichten. Kein Vergleich mit Menschenkindern, die wahre Nesthocker sind. Meist dauert es nur Minuten, bis das Lämmchen breitbeinig und wackelig steht – und dann beginnt auch schon die Orientierung zum mütterlichen Euter. Denn jetzt trinken die Zicklein!Hier in der Zickenzone bekommen die Ziegenbabys nicht nur die wertvolle Biestmilch (Colostrum), die reich an den wichtigen Abwehrstoffen der Mutter ist, sondern alle trinken mindestens 15 Wochen am Euter. Erst dann seid ihr Menschen dran und dürft eure anspruchsvollen Gaumen mit Ziegenmilch, Ziegenkäse, Ziegenjoghurt, Ziegenquark verwöhnen.

In der Saison von etwa März bis fast zum Winter wird dann zwei Mal am Tag gemolken. Eine gute Milchziege, bestens biodynamisch versorgt, gibt im Jahr rund 650 Liter Milch. Sie macht natürlich Pause vor dem Lammen und die erste Milch nährt wie gesagt den Nachwuchs. Da Ziegen saisonal brünstig sind, kommen die Zicklein meist gegen Ende des Winters auf die Welt. Für die Chefin hier in der Zickenzone heißt es dann nach etwa zwei Wochen schon, mit dem Melken zu beginnen. Dabei wird nur in den Eimer gemolken, was die Lämmer übrig lassen. So trainiert die Chefin ihre Melk-Muskeln und die „Nachfrage“ nach Milch bleibt konstant hoch. Erst nach frühestens acht bis zehn Wochen übernachten die Lämmer getrennt von den Müttern und bekommen weniger Milch, weil morgens zuerst die Melkerin dran ist. Tagsüber gilt dann weiterhin „all you can drink“ für die Kleinen. Mit der hofeigenen Käseproduktion geht es erst richtig los, wenn die Zicklein auf den Weiden und an der Heuraufe satt werden und kein Nuckelbedürfnis mehr haben.

Das Interesse an Ziegenmilch-Produkten ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Zum einem wird Ziegenmilch auch von empfindlichen Menschen oft sehr gut vertragen. Zum anderen bietet sie mit ihrem hohen Fettgehalt beste Voraussetzungen für authentischen Geschmack. Der lebt natürlich von all dem, was die wählerischen Ziegen fressen. Wer so gute Voraussetzungen für ein ziegengemäßes Leben hat wie wir –  einen luftigen Stall mit Hochebenen zum Ruhen und Wiederkäuen, die von den Zicklein dann gern auch in ein Kletterparadies verwandelt werden, würzige Blatt-Naschereien am nahen Waldrand, reichlich frisches Grün und duftiges Heu zum genießerischen und lautmalerischen Knorpseln – liefert Milch mit bestem Natur-Aroma. Weil wir hier in der Zickenzone natürlich längst nicht alle Verbraucher-Wünsche erfüllen können, ist es gut, wie groß das Ziegenmilch-Angebot im Biomarkt inzwischen geworden ist. Da gibt es Ziegenfrischkäse natur oder mit Olivenöl und Kräutern oder Curry-Honig gewürzt, als Camembert oder als Feta, Ziegenjoghurt, Quark und manchmal sogar Ziegenbutter. Dazu Ziegenmilch im Tetra-Pak vor allem für die Kuhmilchallergiker und falls das Stillen, was ja unbestritten das Beste auch für Babys ist, mal nicht klappt, auch Säuglingsmilchnahrung auf Ziegenmilchbasis.

Wie vorteilhaft der Gehalt vor allem an wichtigen Fettsäuren ist, zeigt diese Tabelle.

Durchschnittliche Gehalte an Inhaltsstoffen von Kuh- und Ziegenmilch im Vergleich:

 Inhaltsstoffe  Ziegenmilch Kuhmilch
 Gesamtprotein (g/100 ml) 3,3 3,4
  Casein (% des Gesamtproteins) 83 83
  Molkenprotein (% des Gesamtproteins) 17 17
 Laktose 4,1 4,5
 Gesamtfett (g/100 ml) 3,5 3,0
  Gesättigte Fettsäuren (% des Gesamtfetts) 77 78
  Mittelkettige Fettsäuren (% des Gesamtfetts) 21 11
  Einfach ungesättigte Fettsäuren (% des Gesamtfetts) 19 18
  Mehrfach ungesättigte Fettsäuren (% des Gesamtfetts) 2,1 1,4
 Nicht-Protein-Stickstoff NPN (mg/100 ml) 42 38
 Freie Aminosäuren, gesamt (mg/100 ml) 21 6
 Taurin (mg/100 ml) 9,8 0,5
 Nukleotide (mg/100 ml) 10 N/A
 Calcium (mg/100 ml) 158 113
 Phosphor (mg/100 ml) 118 87
 Eisen (mg/100 ml) 0,15 0,09

Quelle: Dr. Colin Prosser