„Sprich die Kuh erstmal an, sag ihr hallo und zeig ihr, dass du da bist.“ Vorsichtig berührt Sarah Mühlbach das Bein der Kuh, die mit dem Hinterteil zu ihr auf dem Melkkarussell steht. Die Klauen der Kuh sind auf Brusthöhe, das Euter hängt direkt vor ihrer Nase. Seit vier Jahren ist Sarah Mühlbach schon im Leitungsteam der Tierhaltung auf dem Hofgut Eichigt beschäftigt. Die Betreuung der Auszubildenden im Fachbereich Tierhaltung gehört auch mit zu ihren Aufgaben. Heute zeigt sie der Auszubildenden Marta Büttner, die im zweiten Lehrjahr zur Landwirtin ist, worauf es beim Melken ankommt.

Kühe sind richtige Gewohnheitstiere. Auf dem Hofgut Eichigt werden die Kühe zwei Mal am Tag immer zur gleichen Zeit gemolken. Dabei geht es schon ziemlich früh los. Die Tagschicht melkt von 6 bis etwa 13 Uhr. 12 Stunden später, also um 18 Uhr, startet dann die Nachtschicht. Die Kühe brauchen den regelmäßigen Rhythmus und warten oft schon am Tor, wenn sie zum Melken geholt werden. Jede Herde extra, also rund hundert Tiere, damit sich die Gruppen nicht vermischen und keine Rangkämpfe entstehen.

Die Hofgut-Kühe werden in einem sogenannten Außenmelkkarussell gemolken. Wer bei dem Wort Karussell jetzt an Jahrmarkt denkt, ist allerdings auf der falschen Fährte. Außenmelkkarussell heißt es deswegen, weil die Melker*innen außen und nicht im Inneren des Karussells stehen. Die Kühe werden zuerst aus ihren Ställen abgeholt und gehen dann in den Warteraum vor dem Karussell. Dort laufen sie selbstständig und der Reihe nach auf das sich langsam drehende Karussell, fahren eine Runde und steigen wieder aus. Das dauert alles in allem rund 20 Minuten. Die Kühe sind die Rundfahrt gewöhnt.

Grafik vom Melkkarussel

Dort stehen Sarah und Marta jetzt auch. Marta streicht der Kuh leicht übers Bein. „Sehr gut, jetzt weiß sie, dass du da bist.“, lobt Sarah. Marta hat sich schon auf das Melken vorbereitet. Sie trägt eine Schürze, Handschuhe und Armstulpen. Vor dem eigentlichen Melken wird die Kuh „angerüstet“. Das bedeutet Vormelken und Reinigen des Euters. „Beim Vormelken mit der Hand kontrollieren wir die Milch jeder Zitze. Wenn sie auffällig ist, zum Beispiel flockig, kann es sein, dass der Kuh etwas fehlt“, sagt Sarah. „Die Milch kann dann nicht verkauft werden“, ergänzt die Auszubildende. „Genau. Das kommt aber nicht oft vor.“ Die Milch im Vormelkbecher sieht klar, weiß und damit gut aus. Danach wird das Euter gesäubert. Mit einem feuchten Tuch werden alle vier Zitzen äußerlich gereinigt. Für jede Kuh wird dabei ein eigenes Tuch verwendet, schließlich sollen keine Keime von Tier zu Tier übertragen werden.

Die Melkerin zeigt, wie sie beim Vormelken die milch vorkontrolliert.
Beim Vormelken wird die Milch kontrolliert.
Die Melkerin säubert die Zitzen der Kuh mit einem Tuch.
Vor dem Ansetzen des Melkzeugs werden alle Zitzen gesäubert.

Danach kann das Melkzeug angesetzt werden. „Beim Melken wird das Trinken des Kalbes simuliert“, erklärt Sarah und zeigt es genauer. In den Melkbechern, die an die vier Zitzen angebracht werden, befinden sich sogenannte Zitzengummis. Diese arbeiten im Takt und saugen durch Unterdruck die Milch an. Dabei wechseln sich Druck- und Entspannungsphasen ab. Im Sammelstück des Melkzeugs läuft die Milch aus den Melkbechern zusammen und über einen Schlauch in das Innere des Karussells. Dann darf Marta das Melkzeug anstecken. Dabei muss sie darauf achten, dass sie behutsam mit den Zitzen umgeht. Mit geübten Handgriffen bringt die Auszubildende das Melkzeug sorgfältig am Euter an, ohne dabei die Zitzen der Kuh abzuknicken.

Grafik vom Aufbau des Melkzeugs
Sarah erklärt der Auszubildenden Marta den Aufbau des Melkzeugs.
Sarah erklärt der Auszubildenden Marta den Aufbau des Melkzeugs.
Dann darf Marta das Melkzeug selbst ansetzen.
Dann darf Marta das Melkzeug selbst ansetzen.
Durch die Halsbänder der Kühe wird genau kontrolliert, wie viel Milch jede Kuh gibt.
Durch die Halsbänder der Kühe wird genau kontrolliert, wie viel Milch jede Kuh gibt.

Die beiden gehen ein Stück weiter am Karussell entlang. Sarah möchte der Auszubildenden noch den Abschluss des Melkprozesses zeigen. „Bei uns erfolgt ja nur das Anlegen des Melkzeugs per Hand. Die Abnahme macht die Melkanlage ganz automatisch. Sie merkt, wenn keine Milch mehr kommt und nimmt das Melkzeug vom Euter. Danach wird das Melkzeug automatisch gereinigt und die Zitzen gedippt, mit einem sogenannten Pflege- bzw. Dippmittel. „Weißt du, warum?“, will Sarah wissen. „Der Strichkanal soll sich verschließen, damit keine potenziellen Keime ins Euter gelangen. Deshalb ist es auch gut, wenn die Kühe nach dem Melken fressen und sich nicht gleich hinlegen. Bis der Kanal zu ist, dauert es rund 30 Minuten.“ „Sehr gut. Deiner Zwischenprüfung steht ja nichts mehr im Weg“, lacht Sarah. Im Milchhaus läuft die Milch dann zusammen, wird gefiltert, gekühlt und in großen Rohmilchtanks gelagert, bis sie kurz darauf in der eigenen Bio-Hofmolkerei weiterverarbeitet wird.

Grafik vom Melkablauf

Nach dem Melken geht es noch in den Kälberstall. Sarah möchte Marta noch zeigen, was der Unterschied zwischen dem Melken und dem Saufen des Kälbchens ist. Denn auf dem Hofgut Eichigt trinkt jedes einzelne Kalb direkt vom Euter. Sie werden kuhgebunden in einer artgemäßen Herde aufgezogen. Eine Kuh kümmert sich dabei um mehrere Kälber und versorgt sie direkt mit frischer Milch. „Das, was wir beim Melken Anrüsten nennen, machen die Kälbchen auch. Wir melken vor und säubern die Euter. Das lässt die Kuh das Hormon Oxytocin ausschütten und der Milchfluss setzt ein. Das Kälbchen macht das, indem es in das Euter boxt“, erklärt Sarah. Die beiden beobachten gerade ein Kälbchen, das mit der Schnauze immer wieder gegen das Euter der Kuh stupst, um trinken zu können. Die Kuh muht dabei beruhigend.


Erste Mahlzeit

Das sogenannte Kolostrum oder auch Biestmilch genannt, ist die Milch, die die Kuh direkt nach der Geburt gibt. Sie enthält besonders viele Antikörper. Das neugeborene Kalb kommt ohne eigene Antikörper auf die Welt und kann diese noch nicht sofort selbst produzieren und sollte deshalb möglichst viel dieser Milch in den ersten Lebensstunden aufnehmen. In dieser Zeit ist der Darm der Kälber noch durchlässig für die Antikörper und sie können so ihre Immunabwehr aufbauen. Diese Milch hat eine intensive gelbe Farbe und ist sehr wertvoll für die Tiere. Deshalb ist sie ausschließlich den Kälbchen vorbehalten und wird nicht vermarktet.


Grafik vom Euteraufbau

Ein Euter wird in vier Viertel eingeteilt. Bei der Rückansicht kann man das Zentralband erkennen, ein starkes Muskelband. Damit Milch entsteht, wird das Drüsengewebe des Euters mit Blut durchströmt. Rund 500 Liter Blut fließen durch das Gewebe, um einen Liter Milch zu produzieren. In den Bläschen dieses Gewebes, den Alveolen, bildet sich dann die Milch. Die Ausschüttung des Hormons Oxytocin sorgt dafür, dass die Milch in die Milchgänge gelangt und sich in der Zysterne sammelt. Durch den Strichkanal fließt sie dann aus dem Euter.

„Und wie unterscheidet sich das Trinken vom Melken?“, möchte Marta wissen. „Das Kälbchen erzeugt durch sein Saugen einen ähnlichen Unterdruck wie das Melkzeug. Nur trinkt das Kälbchen nicht nur zwei Mal am Tag, sondern immer wieder kleinere Portionen“, erklärt Sarah. Am Anfang müssen die Kälber das Trinken auch erst einmal lernen. Die Mitarbeiter*innen auf dem Hofgut haben die Tiere deshalb immer im Blick und helfen ihnen regelmäßig, das Euter zu finden, wenn es Startschwierigkeiten gibt. Die meisten Kälbchen lernen aber sehr schnell und brauchen bald keine Hilfe mehr.  

Die Tierkontrolle gehört natürlich auch zur Ausbildung auf dem Hofgut. Sarah und Marta werden im Stall schnell von neugierigen Köpfen angestupst. „Der Kontakt zu den Tieren ist uns sehr wichtig. Wir dachten, die kuhgebundene Aufzucht entfernt uns von den Tieren, aber eher das Gegenteil ist der Fall“, erzählt Sarah. Manche Kälber sind besonders anhänglich und lieben es, am Hals gekrault zu werden. „In ein paar Jahren stehen sie vielleicht am Melkstand und wollen dann vorher gestreichelt werden. Dann weiß man, woher das kommt“, sagt Sarah und lacht.

Die Melkerin kuschelt mit den Kälbchen.
Neugierig beschnuppert das Kälbchen die Hand von Sarah.
Die Auszubildende krault ein Kälbchen am Hals.
Am Hals ist das Kraulen besonders angenehm.