Wem Umweltschutz, artgerechte Tierhaltung und faire Arbeitsbedingungen am Herzen liegen, der kauft ökologisch, möglichst regional produzierte und fair gehandelte Produkte. Ist ja klar. Zurück bleibt, ganz zu Recht, ein gutes Gefühl. Schließlich kann ich mit meinem Konsum, meiner Ernährungsweise ganz konkret und jeden Tag einen kleinen Beitrag leisten. Das hilft auch gegen das Ohnmachtsgefühl, das sich hin und wieder beim Blick in die Nachrichten heranschleicht.

Beobachtet man wessen, häufig nicht gerade gemeinwohlorientierte, Interessen sich in der Politik so durchsetzen, kann einem der Glauben an die Wirksamkeit von politischem Engagement schon verloren gehen. Also, Rückzug ins Konkrete – lieber im Kleinen wirken als sich im Großen abstrampeln und letztlich nicht viel verändern?

Ich bin heute mit Iris verabredet. Ist sie jetzt sowas wie eine Landwirtschafts-Lobbyistin? Die Adresse passt zumindest ins Bild. Berlin-Mitte, der Bundestag um die Ecke und die Hauseingänge der Marienstraße sind gepflastert mit Namen von Organisationen und Unternehmensvertretungen. Iris öffnet mir die Tür, in den Räumen des Bündnisses „Meine Landwirtschaft“ herrscht Hochbetrieb. Die Großdemonstration für eine ökologischere, bäuerliche Landwirtschaft steht vor der Tür und noch ziemlich viel Arbeit dahinter.

20151110_121711 Iris @ work

Iris, von welcher Arbeit halte ich dich gerade ab?
Ich kümmere mich beim Bündnis Meine Landwirtschaft um die Öffentlichkeits- und Pressearbeit, unser Team organisiert Workshops, Aktionen und unter anderem die Wir haben es satt!-Demo am 16. Januar. Bei uns landen auch viele Anfragen, zum Beispiel von Menschen in deren Wohnort große Mastanlagen gebaut werden sollen. Die wollen oft wissen, was sie dagegen unternehmen können. Und hin und wieder stecke ich selbst mitten drin und stehe bei einer Aktion als Möhre verkleidet vor dem Landwirtschaftsministerium…

Ihr ruft seit 2011 jedes Jahr zur „Wir haben es satt!“-Demo auf. Ist da nach 5 Jahren nicht langsam die Luft raus? Was kann so eine Demo denn noch bewirken?
Als wir 2011 das erste Mal zur Demo aufgerufen haben, lagen in Brüssel gerade die Vorschläge für die EU-Agrarreform auf dem Tisch. Konkret ging’s darum, wie über 400 Milliarden Euro für die EU-Landwirtschaft verwendet werden sollen. Soviel stehen allein für sieben Jahre, von 2014 bis 2020, zur Verfügung. Auch wenn es hier um den Einsatz von Steuergeldern ging, war den wenigsten Menschen klar, was bei dieser Agrarreform eigentlich verhandelt wurde. Das wollten wir mit der Demo und unseren Aktionen ändern. Denn die EU-Agrarpolitik hat ziemlich konkrete Auswirkungen darauf, wie die Landwirtschaft und Umwelt direkt vor unserer Haustür, aber auch in den Ländern des globalen Südens aussieht. Leider konnten sich damals viele sinnvolle Vorschläge für eine ökologischere und sozial verantwortliche Verwendung der Fördermittel nicht durchsetzen.

Trotzdem hat sich seit 2011 einiges getan. 2011 haben 22.000 Menschen demonstriert, 2015 sind 50.000 gekommen. Das zeigt, dass sich heute viel mehr Menschen für gesunde, umweltverträglich produzierte Lebensmittel und faire Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft interessieren.
 

Mit der Demo wollen wir diesen Bewusstseinswandel auch in die politischen Prozesse bringen, PolitikerInnen, Unternehmen und eine breite Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen und den öffentlichen Druck erhöhen. Dass das funktioniert, sieht man bei der ganzen Tierwohl-Debatte. Artgerechte Tierhaltung war noch vor ein paar Jahren ein echtes Nischenthema. Heute ruft sogar der Bundeslandwirtschaftsminister eine Tierwohl-Initiative aus und selbst die großen Billig-Discounter versuchen mit Hinweisen auf artgerechte Haltung Kundschaft zu locken.

Und um was geht es in diesem Jahr? Bis zur nächsten Agrarreform ist es doch noch weit hin, oder?
Die große Frage ist, wo unser Essen in Zukunft herkommt! Wie können wir genügend Lebensmittel produzieren, ohne das Menschen, Tiere und Umwelt darunter zu leiden haben? Welche Arbeitsbedingungen für LandwirtInnen wollen wir in Kauf nehmen? Was ist uns deren Arbeit und unsere Lebensmittel wert? Wie wirkt unsere Wirtschaftspolitik auf den Lebensmittelmarkt im globalen Süden? 

Wir wollen, dass Bauern und Bäuerinnen faire Marktbedingungen haben und ihre Produkte möglichst regional und direkt vermarkten können. Wir wollen unser Essen nicht von Lebensmittelkonzernen, die möglichst billig und auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt für den Weltmarkt produzieren. Ein Großteil der EU-Fördergelder kommt aber nach wie vor genau diesen Konzernen zu Gute! 

Die nächste EU-Agrarreform steht zwar erst 2020 an. Die ersten Entwürfe werden aber voraussichtlich schon nächstes Jahr vorgelegt – deswegen ist es wichtig jetzt am Ball zu bleiben und uns auf allen Ebenen für eine wirkliche Agrarwende, hin zu einer bäuerlichen und ökologischeren Landwirtschaft einzusetzen.

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Mit unserer Ernährungsweise und unserem Einkaufsverhalten können wir uns jeden Tag ein bisschen engagieren. Gleichzeitig werden jedoch auf der politischen Bühne Abkommen beschlossen, Richtlinien entworfen und Gesetze verabschiedet, die viele gute Entwicklungen massiv vorantreiben oder eben komplett verhindern können.

Auch wenn es manchmal frustrierend ist – ist es nicht gerade das, was politisches Engagement, sei es auf der Straße oder auf anderen Wegen, so wichtig macht?

www.wir-haben-es-satt.de
www.meine-landwirtschaft.de